MASSENLOYALITÄT – ZUR AKTUALITÄT DER SOZIALPSYCHOLOGIE PETER BRÜCKNERS

Der Kongressband 2012 der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP)
Hg. von Klaus-Jürgen Bruder, Christoph Bialluch & Benjamin Lemke
erscheint zum kommenden Kongress (7. bis 10. März 2013)

Klaus-Jürgen Bruder

I. Kulturelle Kluft

Die Aktualität Peter Brückners zu behaupten erscheint wie eine Provokation: Viele, die ihn nicht kannten, oder die seine Schriften nicht gelesen hatten, aber auch die, die ihn zwar von damals kannten, aber heute wieder lesen müssten oder gelesen haben, verstehen ihn heute nicht – nicht mehr, sagen sie: »So kann man das heute nicht mehr sagen!«

Es scheint, eine tiefe Kluft trennt uns heute von ihm. Seine Art zu schreiben, zu denken, seine Begriffe, seine Herangehensweise an die Probleme wirken wie aus einer anderen Welt; keiner macht das mehr so, schreibt so, benutzt seine Begriffe, denkt wie er.

Und gleichzeitig ist er so nötig wie kein anderer, wird seine Herangehensweise an die Probleme, werden seine theoretischen Zugänge und Einsichten dringend gebraucht heute, wenn man das Heute verstehen will – verstehen, um es zu verändern –, seine Methode des Eingreifens in wissenschaftliche Diskurse, seine politische Haltung – als die eines Bürgers im Sinne von Citoyen, nicht eines Bourgeois.

Ich behaupte, es liegt am Graben, der uns heute von der Zeit von ’68 trennt: kein bloß zeitlicher Abstand oder generationelles Aus-der-Mode-gekommen-Sein, sondern eine kulturelle Kluft.

»Public happiness«, der Begriff, den Peter Brückner für den Zustand öffentlichen Glücks in der Zeit um ’68 verwendet hat, beschreibt zumindest einen Teil dieser kulturellen Differenz. Diese Kluft hat sich nicht einfach ergeben durch das Älterwerden der 68er oder die Heraufkunft einer neuen Generation, die die Alten beiseite drängt. Diese Kluft wurde hergestellt, »politisch gewollt« wie man heute sagt, durch die »Rückkehr der Macht in die Regelung der zwischenmenschlichen Verhältnisse« erzwungen (Bruder 2012).

Dadurch wurde das, was Peter Brückner, seine Theorie, Methode und seine Haltung als Intellektueller auszeichnet, entwertet, den Heutigen verschlossen.

Gleichwohl erscheinen sie mir – Theorie, Methode und Haltung des Citoyen Peter Brückner – für uns heute unverzichtbar, haben wir ein Erbe anzutreten (wie es Derrida 1993 für Marx formuliert hat), indem wir erst einmal zu erfassen versuchen, was sie damals bedeuteten, um zu erkennen, was wir heute brauchen und was uns heute fehlt.

II. Massenloyalität

Man kann das sehr gut am Begriff der »Massenloyalität« darstellen. Was meinte Peter Brückner damals? Inwiefern hilft uns heute dieser Begriff und die Analyse, die ihn hervorgebracht hat?

»Massenloyalität« ist einer der zentralen Begriffe der »Sozialpsychologie des Kapitalismus« Brückners, die er zur Erklärung der Wirkungen von Macht heranzieht, meint: das »reflexartige Unterwerfungsverhalten der Massen-Population unter Gesetze und sittliche Normen« (Brückner/ Krovoza 1972, S. 46).

Sie zeigt sich in der Tendenz der Bevölkerung zum Wohlverhalten, zum Desengagement, zur politischen Apathie, zur Konformität (ebd., S. 76).

Diese erlauben eine »gewaltlose Steuerung und Kontrolle der Bevölkerungsmassen« (ebd., S. 74). Insofern ist Massenloyalität die notwendige »Ergänzung« der »Machtbasis der Staaten« (ebd., S. 130).

So ungreifbar, wie das Phänomen – und deshalb so schwammig der Begriff, so fundamental ist dieses Phänomen für das Problem der Herrschaft und ebenso schwer zu verstehen: Man könnte es Unterordnung nennen, die nicht also solche erlebt wird. Bevor sich an diesem Phänomen nichts ändert, wird sich an unserer gesellschaftlichen, politischen Situation nichts ändern.

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