Das Identische, das Binäre, das Trianguläre: Die Sexuation in unserer Kultur

ECKART LEISER

Das Identische, das Binäre, das Trianguläre:

Die Sexuation in unserer Kultur*

 

Mein Ausgangspunkt ist das allgegenwärtige empirische Phänomen, daß die Konstruktion männlicher Identität auf Kosten des Weiblichen stattfindet, ein Tatbestand, der in verschiedenen aktuellen Diskursen über die „sexuelle Differenz“ oder, in der Begrifflichkeit der „Gender“-Forschung, über die kulturelle Produktion der Geschlechtermodelle ihren Niederschlag findet (s. Leiser 1993). Unter einem logischen Gesichtspunkt angegangen, stoßen wir auf ein weiteres, auf den ersten Blick unverfängliches Projekt, das die gesamte abendländische Metaphysik wie ein roter Faden durchzieht: Es handelt davon, eine absolute und in sich geschlossene Identität zu konstruieren, die alle übrigen Identitäten beherrscht, in sich aufnimmt oder aber im Konfliktfall aufhebt. Historisch gesehen geriet diese Fragestellung mit einer Tatsache in Kollision, deren Anerkennung durch die Wissenschaft immer unausweichlicher wurde: daß man niemals der Relativität entkommen kann, was sich in unserer Kultur – um einen Begriff aus der Linguistik Saussures zu benutzen – im Prinzip der „Opposition“ manifestiert, das auf den Vorrang der Differenz vor jeglicher Identität verweist. Im vergangenen Jahrhundert schließlich fand diese Einsicht Eingang in den „gesunden Menschenverstand“, veranlaßt durch die Entdeckungen Darwins zur Evolution und später durch die Relativitätstheorie. Diese Entmystifizierung des Identischen hat jedoch in keiner Weise den philosophischen Eifer gebrochen – wenn wir „philosophisch“ im erweitereten Sinn nehmen, in dem ihn Gramsci verwendet – das Identische zu konstruieren, ein Eifer, der seit jeher unsere Kultur kennzeichnet. Wenn dieser sich auch nicht mehr im Drang der Scholastik äußert, die logische Notwendigkeit eines höheren Wesens, eines Gottes, zu beweisen, oder im Drang der Geschichtsschreibung, einen Nullpunkt bzw. Ursprung festzulegen, oder aber im Drang des mechanischen Determinismus französischen Zuschnitts (Holbach, D’Alembert, Diderot usw.), diesen späteren Laplaceschen Dämon auf den Thron zu setzen, der das Universum in Gang hält und überwacht, bestand er dennoch auf etwas subtilere Weise fort. Es soll hier genügen, an das gescheiterte Projekt Hilberts zu erinnern, alle mathematischen Aussagen in ein vollständiges und geschlossenes System einzufügen, und an das ihm ähnliche Projekt Gödels, dessen Ergebis schließlich war, daß jede abschließende Begründung der Mathematik logisch zwingend lückenhaft sein muß. Dieser Mangel wurde ja dann später von B. Russell auf Logik und Mengenlehre übertragen und in seiner „Typentheorie“ formalisiert.

Angesichts dieser durch nichts zu brechenden „Manie“ darf gefragt werden, was eigentlich diese unermüdliche Anstrengung nährt, zu einer allumfassenden Darstellung der Welt zu gelangen, die um einen unzweideutigen Angelpunkt herum angeordnet ist, diese Verkörperung einer durch nichts bedingten Identität.

Nehmen wir die regelrechte Besessenheit, die diese Arbeit kennzeichnet, ist es erlaubt, an eine energetische und wunschförmige Grundlage des ganzen zu denken, bei der es um mehr geht als um eine philosophische oder mathematische Idee. Es würde sich vielmehr um ein Schlüsselproblem des menschlichen Subjekts handeln, mit dem es sich im Zuge seiner Konstituierung konfrontiert sieht. Um das ganze nicht zu schnell zu universalisieren, sollte vorsichtiger von einem Dilemma der psychischen Ökonomie in unserer Kultur gesprochen werden. Dieses Dilemma scheint sich zuzuspitzen, wenn das besagte Subjekt sich seines eigenen Seins im Verhältnis zu einem Anderen bewußt wird.

Es ist geradezu unvermeidlich, hier einen Bezug zur berühmten Untersuchung von Hegel in seiner „Phänomenologie des Geistes“ (Hegel 1976) herzustellen, wo es um das „Herr-Knecht“-Verhältnis geht. Ist das Subjekt einmal aus seinem ursprünglichen Zustand des „Für-sich-Seins“ erwacht, wo es sich „naturgegeben“ vorfindet, gestützt auf eine Art naives „Ich“, das ihm wie ein Objekt als Halt dient, wird die brüchige Basis eines derartigen „unschuldigen“ Selbstbewußtseins fragwürdig, das von einer außerhalb seiner Kontrolle liegenden Natur abhängt. Das Subjekt macht sich daran, von diesem geschützten Ort aus in die Welt hinauszugehen, um sich dort auf der Grundlage eines anderen Selbstbewußtseins neu zu bilden. Es ist das Bewußtsein eines mit sich identischen, reinen und abstrakten „Selbst“. Dieses Nach-Außen-Wenden seiner Selbstdarstellung hat jedoch seinen Preis. Um von einem in sich selbst eingeschlossenen Sein zu einem „Sein an sich“ zu gelangen, bedarf es der Anerkennung durch die Welt, deren „Verkörperung“ der Andere ist. Wie daraus folgt, findet am Ende nur ein Wechsel von einem Bedingtsein zu einem anderen statt: was vorher die „Natur“ war, ist jetzt ein anderes Subjekt. Der Andere, der für das Erreichen einer gesicherten Identität unerläßlich ist, wird aber im gleichen Moment, in dem er in Erscheinung tritt, zu seinem Todfeind und zum Hindernis für den Traum einer absoluten Identität. Es gibt keinen anderen Ausweg, als diese Bedingheit des eigenen Seins zu leugnen, und dieses Leugnen nimmt die Form eines Kampfes „auf Leben und Tod“ an. Es geht darum, den Anderen zu einer „Null“ zu machen, zu einer vernachlässigbaren Größe und letztendlich zu etwas Totem. Um das zu erreichen, muß das eigene Leben als Negativität gesetzt und als Einsatz eingebracht werden. Das heißt nichts anderes, als daß das Leben das grundlegendste Hindernis auf dem Weg zur absoluten Identität ist, und die Lösung besteht darin, es zu entwerten und zu transzendieren. Sich eine absolute Identität verschaffen läuft also über eine Geringschätzung des Lebens. Von jetzt ab wird das logische Dilemma, sich als durch niemanden und nichts bedingtes Subjekt darzustellen, in einem Rahmen inszeniert, der von Hegel das Verhältnis „Herr-Knecht“ genannt wird: Der Knecht fungiert für den Herrn als unverzichtbare Instanz, die zwischen sein Selbstbewußtsein und die Welt der unmittelbaren Dinge geschaltet ist, und die das Handeln und vor allem die Worte des Herrn wirksam werden läßt. Die heikle Operation besteht darin, den Knecht auf Null zu reduzieren, aber ohne ihn auszuschalten, erfüllt er doch für ihn als Subjekt eine lebenswichtige Funktion. Dem Knecht ist seine eigene Subjektivität wegzunehmen und er ist in einen Lieferanten einseitiger Anerkennung zu verwandeln. Gleichzeitig verschafft der Knecht dem Herrn einen spezifischen Genuß, der nicht in der Gier nach den unmittelbaren Dingen festgehalten ist. Es ist dies die Mehrlust, von der Lacan spricht, ein in Macht, Tod, virtuelles „Verfügen“ über die Welt eingeschriebens Begehren.

Wie aus dieser Hegelschen Vision hervorgeht, wohnt dem Identischen eine Dynamik inne, die in das Binäre einmündet, wenn es auch in dem, was wir gerade darstellen, nur in negativer Form in Erscheinung tritt.

An diesen Punkt angelangt, stellen sich bereits zwei Fragen:

– Ist diese Form, die Identität zu konstruieren und zu denken, eine universale Folge der conditio humana, oder ist diese „Logik“ kulturellen Faktoren geschuldet?

– Inwieweit ist es zulässig, den gerade skizzierten Modus des Binären mit dem Problem der „sexuellen Differenz“ in Zusammenhang zu bringen, wie es Jessica Benjamin macht, für die das Verhältnis „Herr-Knecht“ als Modell dient, um die Deformierungen in der Beziehung „Mann-Frau“ zu erklären und, konkreter, die Fehlentwicklungen bei der weiblichen Subjektivierung zu rekonstruieren?

Von der psychoanalytischen Tradition her ist es fast unmöglich, die erste Frage zu behandeln, also das Problem der kulturellen Faktoren, die auf das Seelenleben in unserer Kultur Einfluß haben, ohne zwei klassische Texte von Freud anzuführen, nämlich „Totem und Tabu“ und „Der Mann Moses und die monotheistische Religion“. Und vom aktuellen feministischen Diskurs her ist es nahezu zwingend, die Untersuchung von Irigaray in „Speculum“ zu erwähnen.

Um mit Irigaray (1980) anzufangen, behauptet sie ja, daß es einen im westlichen Denken sauber rekonstruierbaren „roten Faden“ gibt, der bis ins „Halbdunkel“ unserer Kultur zurückführt, das in der Antike liegt. Die griechische Philosophie und insbesondere das Werk Platons fallen dadurch auf, wie fast in der Art einer Manie das Identische auf der Basis von Dichotomien konstruiert wird, die alle auf eine ursprüngliche Dichotomie zurückzugehen scheinen, nämlich das „Männliche“ in Entgegensetzung zum „Weiblichen“. „Dichotomie“ im Gegensatz zu „Differenz“ zeichnet sich durch eine eindeutig konnotierte Opposition zwischen einem positiven Pol, hier das „Männliche“ als Überlegenes, und einem negativen Pol, hier das „Weibliche“ als Unterlegenes, aus.

Indem sie die Funktion einer derartigen Polarität zurückverfolgt, findet Irigaray heraus, daß hinter dieser Dichotomie das Dilemma einer „spiegelförmigen“ Identität steht, die zu ihrer Bildung einer Negation bedarf, eines einfach zu handhabenden „Gegenbildes“. Dieses ermöglicht die Inszenierung meiner eigenen zweifelsfreien Identität vor einem negativen Hintergrund, der wie ein Spiegel stillgelegt und leicht verfügbar ist. Es geht darum, einen Kontrast einzurichten, der das Absolute, das Überlegene, das Makellose und Einzigartige eines „Ichs“ hervortreten läßt, das danach strebt, sich in die Welt als Nabel von allem einzupflanzen. Wir sehen ein narzißtisches Ich vor uns, das sich vor dem Spiegel befindet und zugleich hinter einem Abwehrpanzer verschanzt ist, damit beschäftigt, seine Integrität gegen die ständig drohende Zerstückelung zu behaupten, die von der Außenwelt kommt. Nach Irigaray verweist die „Dichotomie“ und ihre Spiegellogik auf ein uranfängliches Schema, das das Seelenleben dieses männlichen Wesens kennzeichnet, das zum Protagonisten des Patriarchats wird. Folglich kommt es zur Geringschätzung des Weiblichen nicht aufgrund irgendeiner Bosheit, vielmehr ist diese Schlüsselelement einer Ökonomie männlicher Identität.

Folgen wir dieser Untersuchung, liegt der „Sündenfall“, der Grund für diese Ökonomie, in einem „paranoischen“ Kontakt mit der Welt, der sich in einem kontrollierenden und instrumentalisierenden Zugriff äußert, und der auf die gewaltsame Unterwerfung der Dinge setzt, im Gegensatz zu einer versöhnenden Annäherung, die nach Lévi-Strauss etwa den totemistischen Kulturen innewohnt.

Nun denn, so schlüssig dieses Argument auch sein mag, um die Spezifik des Identischen und des Binären in der westlichen Kultur in einen möglichst umfassenden Zusammenhang einzuordnen, gibt es doch andere Ansätze, von denen aus sich die Dinge etwas komplizierter darstellen. In deren Licht läßt sich nur schwer der Verdacht ausräumen, daß Irigaray die Durchschlagkraft einer universalen Logik des Patriarchats etwas zu sehr verallgemeinert, unter Vernachlässigung anderer spezifischer Faktoren, die in der Entwicklung der abendländischen Welt eine Rolle gespielt haben.

Einen dieser Ansätze finden wir in den bereits erwähnten Texten Freuds entwickelt. Er lenkt unsere Aufmerksamkeit hier auf eine andere Achse in der Entwicklung des Abendlands, die mit dem Monotheismus zu tun hat. Obwohl der jüdische Monotheismus und später der christliche nach den Untersuchungen von Rank mit praktisch allen Mythologien ein Motiv gemeinsam haben, nämlich die Rückkehr des von seinen Söhnen ermordeten Urvaters, begnügt sich die von Moses begründete Religion nicht damit, das Gesetz in die Hände einer Versammlung höherer, dem Menschen vorgeordneter Mächte zu legen, die über die kulturellen Normen wachen, unter denen das Inzestverbot herausragt. Denn zum ersten Mal zentralisiert und monopolisiert sie alle Macht in einem einzigen höchsten Wesen, das vom Menschen so weit entfernt ist, daß ihm weder ein Name noch ein Bild zugehört. Nach Freud geht diese „Radikalisierung“ der Gottesfigur auf zwei Besonderheiten zurück: Erstens, daß es tatsächlich ein den Juden fremder Gott ist, zieht man in Betracht, daß Moses Ägypter war und daß er hier versuchte, ein Projekt ägyptischen Ursprungs in die Praxis umzusetzen. Zweitens aber verdoppeln die Juden die traumatische Wucht des Vatermords, indem sie nach dem Urvater noch ihren spirituellen Vater, nämlich Moses selbst, ermorden.

Daraus erklärt sich, daß der Gottvater der Juden, Ursprung und Ziel der Welt und aller menschlichen Wesen, eine einzigartige Eigenschaft annimmt: Er wird zu einem obersten und eindeutigen „Signifikanten“, der die Ordnung der Dinge ein für allemal abschließt. Er ist eine unüberschreitbare und allmächtige Instanz, der Zugang zum Verborgendsten in jedem menschlichen Subjekt hat. Die Juden tragen danach die reine Verkörperung des Urvaters in sich, ohne vermittelndes Dazwischentreten anderer Figuren, auch wenn dieser Vater sich nun in einen guten und schützenden Vater verwandelt hat. Unter dem hier interessierenden Gesichtspunkt verkörpert er eine modellhafte Lösung dafür, wie auf kultureller Ebene das Identische dargestellt und gleichzeitig eine totalisierende Sicht der Welt umgesetzt werden kann. Außerdem wird hier das Binäre in einer besonderen Form eingeführt: Die Beziehung zwischen Gottvater und Kind fügt sich zwar in eine reine Hierarchie ein, aber andererseits sind wir alle vor dem gleichen Gottvater gleichwertige und eigenständige Brüder und Schwestern. Es muß betont werden, daß die Augen von Gottvater zwar in den verborgendsten Winkel meines Inneren reichen, er aber dennoch eine äußere Instanz ist, in der meine Identität als menschliches Subjekt seinen Verankerungspunkt findet. Vor allem stellen unter seinem Schutzschirm und im Rahmen der Macht des irdischen Vaters die Unterschiede zwischen den Geschwistern und insbesondere die Differenz zwischen dem „Männlichen“ und dem „Weiblichen“ ein positives Material für das menschliche Leben dar. Gerade die Sexualität, sehen wir einmal vom Inzestverbot ab, ist in der jüdischen Religion eine sehr viel weniger entstellte und der Sünde sowie dem Schmutzigen zugeordnete Angelegenheit als im späteren Christentum. Um zu den Kriterien Freuds zurückzukehren, kommen in der jüdischen Religion zwar ebenfalls alle Merkmale einer „kollektiven Neurose“ vor, aber auch im Bereich der Pathologie ist nicht alles gleich, denn der jüdischen Kultur mangelt es an diesen paranoischen und narzißtischen Zügen, die das Seelenleben dieses von Irigaray gezeichneten männlichen Wesens kennzeichnen.

Wir verfügen damit bereits über einige Spuren, aus denen sich abzeichnet, daß das Patriarchat weit davon entfernt ist, ein eindeutig aufgebautes „Dispositiv“ zu sein. Vielmehr stellt es sich in der Menschheitsgeschichte als facettenreiches Phänomen dar, ebenso wie das Identische nicht immer dem Identischen gleich ist und das Binäre nicht dem Binären. Vor allem aber müssen wir die Möglichkeit in Rechnung stellen, daß die Vorherrschaft des männlichen Geschlechts nicht notwendigerweise mit einer Negation des Weiblichen und dem Auslöschen der „sexuellen Differenz“ zusammenfällt. Der Bezug auf die jüdische Religion könnte sich zudem anbieten, ein anderes Stichwort unseres Themas aufzugreifen, nämlich das Trianguläre. Unter den Zeichen des jüdischen Patriarchats gibt es ja ein wohlausgearbeitetes Dreieck: den Pol des Vaters, das Oberhaupt der Familie, aber nicht allmächtig sondern lediglich irdischer Beauftragter von Gottvater; den Pol der Mutter, ein Wesen von eigenem Recht; schließlich der Sohn oder die Tochter, beide mit ihren jeweils eigenen Identifizierungsmodellen. Aber das im gegenwärtigen Zusammenhang Wichtigste ist, daß es ein Außen gibt, einen kollektiven und gesellschaftlichen Raum außerhalb der Familie sowohl für Jungen als auch für Mädchen, der durch den Kult geregelt ist. Alles in allem existiert genügend Material für die Konstruktion eines Ichideals, das mit den Merkzeichen des Geschlechts ausgestattet ist. Und es gibt eine Durchlässigkeit des familiären Raums, der vor dem lebenslangen Einschluß in einer symbiotischen oder inzestuösen Situation bewahrt.

Und nun dagegengesetzt das Christentum. Schon Freud selbst legte Nachdruck auf den Rückschritt, den nach kulturellen Kriterien, insbesondere der Sublimierung und der Geistigkeit, diese Kehrtwende der jüdischen Religion mit sich bringt: Indem die Figur des Erlösers eingeführt wird, des gekreuzigten Gottessohns, wird ein Weg beschritten, der schließlich und endlich zum Ersetzen dieses nichtbenennbaren und nicht darstellbaren Gottvaters durch die Heilige Dreieinigkeit samt ihrer Ikonographie führt. Von nun an werde ich auf einen sehr spannenden Text des argentinischen Philosophen und Psychoanalytikers Rozitchner zurückgreifen mit dem Titel „La Cosa y la Cruz“ (Die Sache und das Kreuz, – Rozitchner 1997). Zunächst einmal löst ja schon der Begriff der Heiligen Dreieinigkeit geradezu gebieterisch die Assoziation des Triangulären aus. Wir stehen hier jedoch vor einem Dreieck, das sich sehr von dem unterscheidet, das wir in der jüdischen Welt fanden. Halten wir uns an das grammatische Geschlecht, setzt sich die Heilige Dreieinigkeit aus drei männlichen Figuren zusammen, dem Gottvater, dem Sohn und dem Heiligen Geist. Nichtsdestoweniger muß es sich hier um ein in die Sexuation eingeschriebenes Dreieck handeln, denn es hat ja einen Sohn hervorgebracht und in seiner „Mitte“, den Gottessohn Jesus Christus. Der Schlüssel, um Licht in dieses Rätsel zu bringen, findet sich im Heiligen Geist und in einer vierten Figur, nämlich Maria, die Tochter von Gottvater.

Halten wir uns an die Entschlüsselung dieser eigenartigen Konstellation, die uns die „Apokryphischen Evangelien“ aus dem 3. Jhd. anbieten, so ist das Paar, das Jesus Christus hervorbringt, Gottvater in ehelicher Gemeinschaft mit dem Heiligen Geist, während das Weibliche an dieser Operation lediglich hilfsweise und genealogisch verschoben mitwirkt: es ist die Tochter Maria, deren Schoß als Herberge dient, um die Frucht ihrer Eltern auszutragen. Aus dieser Lesart folgt, daß Gottvater eigentlich mit größerer Berechtigung als Großvater der Menschenwesen betrachtet werden darf, und gehen wir noch weiter, so könnte in moderner Begrifflichkeit Maria als Leihmutter gesehen werden, und wir alle können uns als Kinder eines sozusagen „homosexuellen“ Paars betrachten. Was uns hier aber mehr interessiert, ist die Verschwommenheit der Position des Vaters gegenüber der Position der Mutter in dieser am Anfang des Christentums stehenden Anordnung. Denn es ist zulässig, mit dieser die ursprünglichen „Signifikanten“ unserer Kultur in Verbindung zu bringen, die mit der „sexuellen Differenz“ und der Sexuation zu tun haben. Als erstes ist festzustellen, daß im Gegensatz zu dem, was der gängige Begriff des Patriarchats nahelegt, die Vaterfigur, die sich in dieser Urszene abzeichnet, weit davon entfernt ist, durch ihre phallische Macht zu beeindrucken. Um die Dinge aber nicht zu überstürzen, muß streng genommen zwischen zwei Vaterfiguren unterschieden werden: Erstens ist da Josef, der sozusagen gehörnte irdische Vater, der im Hintergrund bleibt und in den Evangelien kaum vorkommt, beschränkt dessen Funktion sich doch darauf, vor der Öffentlichkeit diese von Gottvater ausgehende heimliche Operation zu tarnen. Seine phallische Macht ist gleich Null. Zweitens ist da Gottvater selbst, dessen „Potenz“, auch wenn er Erzeuger des Gottessohns Jesus Christus ist, im Grunde im heiligen Wort, im logos, liegt. Auch er kann also schwerlich als Symbol für das Phallische dienen. und tatsächlich bleibt er in den Evangelien in der Art eines Großvaters im Hintergrund. (Es kommt mir hier jener Gott eines Daniel Paul Schrebers in den Sinn: wie wir sehen werden, war es möglicherweise kein Zufall, daß er diese klägliche und hinfällige Figur halluziniert hat.)

Die Schlüsselfigur ist folglich keineswegs ein Vater, und in der Tat finden wir im unbestreitbaren Mittelpunkt des Geschehens Maria, Mutter und Frau. Es stellt sich damit die Frage, wie es möglich ist, den Vorrang des Weiblichen und die Schwäche des Männlichen in dieser Urszene des Christentums mit der historischen Vorherrschaft des Manns in Einklang zu bringen, die soweit geht, unsere Kultur als Patriarchat zu kennzeichnen.

Wir werden uns dieser Frage nähern, indem wir aus der zitierten Untersuchung Rozitchners Nutzen ziehen. An deren Anfang steht als Ausgangsthese, daß das Christentum als kanonisiertes System Ergebnis nachträglicher, also auf das Leben Jesu folgender, historischer Konstruktionen mit rückwirkenden Effekten ist. Gemäß dem Autor ist ein entscheidender Schritt in der Ausarbeitung dieses Systems, der bald in dem Gestalt annahm, was wir heute Katholische Kirche nennen, mit dem Wirken des „Kirchenvater“ genannten Heiligen Augustinus (354-430) verbunden. Nun ist es aber so, daß das Leben von ebendiesem Augustinus, über das er in seinen „Bekenntnissen“ Zeugnis ablegt, sich geradezu paradigmatisch in das Muster fügt, das wir gerade als Urszene des Christentums bestimmt haben: biologischer Sohn eines heidnischen und von der Mutter geringgeschätzen Vaters, findet Augustinus schließlich einen zweiten Vater, seinen „Adoptivvater“, der kein Geringerer als Gottvater selbst ist. Bei dieser Operation kann er sich auf eine fromme und von ihm angebetete Mutter stützen, die Heilige Monica, die ihn dazu drängt, diesen „hurenden“ Vater „abzusetzen“ zugunsten jenes anderen Gottvaters. Das schließt die Abschaffung eines phallischen Männlichkeitsmodells ein und sein Ersetzen durch ein anderes Modell, das nicht gerade durch seine Potenz besticht, wohl aber durch eine ganz besondere Omnipotenz, nämlich den Glanz des Wortes. Gleichwohl hat diese Operation, wie aus den „Bekenntnissen“ hervorgeht, ihre Rückwirkungen in der tiefsten Tiefe des Seelenlebens von Augustinus. Die Frage ist erlaubt, wie es möglich ist, daß dieser Gottvater, der eigentlich mehr durch seine leere und abstrakte Herrlichkeit auffällt, eine derartige Verführungskraft entfaltet bis zu dem Punkt, daß er Augustinus in einer regelrechten Ekstase versinken läßt. Wie die Untersuchung von Rozitchner zutage fördert, erklärt sich diese Wirkung damit, daß hinter diesem Gottvater die eigene Mutter ist, und in dieser hat seine Anziehungskraft ihren Ursprung. Es handelt sich also in Wirklichkeit um eine „abgeleitete“ Substanz, die auf den Schoß und die Brüste der Mutter verweist. Um es geradeheraus zu sagen, scheint durch die Zeilen der „Bekenntnisse“ eine ungeheure inzestuöse Liebe für die Mutter durch (und umgekehrt), und es ist diese sorgfältig verschlüsselte Liebe, die die Ekstase von Augustinus nährt.

Hier ist es genau, wo Rozitchner den Anfang eines anderen historischen Projektes ansetzt, das Identische, das Binäre und das Trianguläre zu konstruieren, und es ist dieses Projekt, das einige Schlüsselmerkmale zu unserer Kultur beigesteuert hat und dort immer noch seine Wirkungen entfaltet. Letztlich gehört das Auf-die Bühne-treten von Gottvater zu einer Operation, deren Ausgangspunkt in der Mutter liegt. Es ist eine verschlingende Mutter, vor der sich Augustinus retten will, ohne sich von ihr zu trennen, ohne also auf seine inzestuösen Wünsche zu verzichten. Mittels besagter Operation macht sich Augustinus daran, den affektiven und sinnlichen Inhalt seiner Symbiose mit der Mutter in eine leidenschaftliche Liebe für Gottvater zu verwandeln, um von da ab von den Brüsten der Mutter abzulassen und an ihrer statt die „Brust des Wortes“ von Gottvater zu ersehnen. Allgemeiner ausgedrückt zielt die Operation auf eine Verschiebung des Weiblichen zum Männlichen hin, mittels Abstraktion und Vergeistigung. Sie zielt darauf, das Tabu des Inzest zu umgehen, indem dieser mit einem idealisierten Vater getarnt wird. Gleichzeitig sorgt sie aber dafür, die Gefahren des Inzests zu bannen und den Akt zu desexualisieren.

Historisch gesehen war diese Operation erfolgreich, ja sie legte nach der Analyse von Rozitchner den Grundstein für den Siegeszug des Kapitalismus, der als Verdinglichung des Begehrens definiert werden kann, mit dem Körper der jungfräulichen Mutter im Zentrum, der aber von seiner Sinnlichkeit entkleidet ist und in eine „abstrakte gesellschaftliche Maschine verwandelt ist, die ihrerseits unter dem Zeichen des Todes stehende Körper hervorbringt“ (Rozitchner, 1997, S. 12). Andererseits basiert diese Operation auf einer recht heiklen psychischen Ökonomie: Es ist ja nicht der Vater, der Augustinus gezeugt hat, der die verschlingende Mutter in Schach hält, sondern es ist das Vaterideal der eigenen Mutter – es war ja sie, die Augustinus zu ihrem Gottvater geführt hat – also eine Schöpfung und Verlängerung der mütterlichen Macht. Es gibt damit keinen Vater außerhalb der Mutter, er befindet sich in ihrem Inneren und hat dort die Funktion eines „Grenzerrichters“ und Wächters. Topologisch gesehen bleibt somit kein Raum mehr, um die Position des Vater von der der Mutter abzugrenzen: die erste ist sozusagen in der zweiten eingeschlossen. Für das männliche Wesen bedeutet das, daß die Anerkennung des Vaters immer auf einer Art Komplizenschaft mit der Mutter aufbaut, die dazu dient, die ungeheure inzestuöse Lust einzudämmen. Diese Komplizenschaft findet ihre reinste symbolischen Form in der Kommunion beider vor dem gleichen Gottvater. Wie sich zeigt, verhindert das nicht, daß am Ende die mütterliche Figur vom Gewicht dieses „Eindringlings“, dem Vater, erdrückt wird.

Unter dem Gesichtspunkt der Konstruktion des Identischen haben wir hier eine Situation, die sich sehr von der Vorstellung unterscheidet, die Irigaray uns nahelegt, aber auch von Jessica Benjamin und ihrer Gleichung „männlich“=“offen“, „weiblich“=“eingeschlossen“. Dem „Offenen“ beim Vater=Gottvater entspricht eine Leere, er bringt keine ihm eigene „Substanz“ ins Spiel. Er ist eine Art Parasit der weiblichen Fruchtbarkeit und seine Funktion beschränkt sich darauf, „Grenzpflöcke“ in die unermeßliche mütterliche Sinnlichkeit einzupflanzen. Es sollte uns dabei nicht verwirren, daß es dieselben Grenzen sind, die der Mann später ins Feld führen wird, um die Unterlegenheit=Beschränktheit des Weiblichen zu denunzieren. Psychoanalytisch gesprochen liegt diese Operation auf der Ebene der Einbildung und des Phantasmatischen, mit der sich das männliche Wesen in dem Moment als mit sich selbst identisches Subjekt zu retten versucht, wo es die ursprüngliche Einheit mit dem mütterlichen Körper verloren hat. Folgen wir diesem Argument, so führt das von Hegel hypostasierte absolute Subjekt der abendländischen Kultur auf einen leeren Gott, der im Akt seiner Anrufung nichts als Grenzen hervorbringt. Er tut das, indem er sich hinter einem Bollwerk von „Worten“ verschanzt, das gegen ein bedrohliches weibliches „Außen“ errichtet ist. Im weiteren verwandelt sich dann das aus dem Reich des Wortes verbannte Weibliche vom Unermeßlichen und Grenzenlosen in das Exterritoriale und schließlich in das Kolonisierte, im Zuge eines umfassenden historischen Projekt der Trockenlegung und Parzellierung.

So betrachtet stellen sich die stereotypischen Bilder auf den Kopf: Die dem Männlichen zugeordnete Freiheit hat ihren Ort im Innern eines wohlabgeschlossenen Panzers, und sie besteht darin, diese „Festung“ gegen die grenzenlose und verschlingende Welt des Weiblichen zu verteidigen. Es handelt sich also eher um eine klägliche und geschlechtslose Figur in dem Sinn, daß es ihr an einem Vater für ihre Sexuation mangelt. Sein Trumpf ist das Wort und eine in den Tod eingeschriebene Ewigkeit. Unter diesem Blickwinkel betrachtet hat Hegels „Herr“, bevor er den „Knecht“ unterwirft, seine eigene Unterwerfung unter Gottvater vollzogen, was wie wir gesehen haben in letzter Instanz bedeutet, seine Ohnmacht vor dem Weiblichen anzuerkennen. Bei diesem „Herrn“ der christlichen Ordnung handelt es sich also um keinen Souverän, sondern um einen Vasallen von Gnaden eines affeminierten Gottvaters.

Die unter diesen Merkzeichen stehende Logik des Binären entfernt sich erheblich von dem, was Jessica Benjamin in ihrem Text „Die Fesseln der Liebe“ (1993) entwirft, in dem sie, was das Geschlechterverhältnis betrifft, von Hegels Modell „Herr-Knecht“ inspiriert ist: Denn die von Hegel herausgearbeitete Asymmetrie zwischen dem Subjekt und dem Andern leitet sich nach dem gerade Dargestellten in erster Linie von der Macht des Worts ab. Der Sprechende im Christentum spricht zu niemandem, er richtet sich an Stumme und versucht dabei, eine Herrschaft des Worts zu errichten, um sich unter ihrem Schutzschild seiner Identität zu vergewissen. Wenn er aber am Ende seiner Rede ist, wechseln die Rollen und es ist am Anderen, sich des Worts zu bemächtigen, sich zum Subjekt zu machen und sein Gegenüber auf die Bank des stummen Objekts zu setzen. Statt sich auf eine feste Rollenverteilung im Kontext eines sozialen Ungleichgewichts von Macht oder Subjektivität zu beziehen, beschreibt das „Herr-Knecht“-Modell einen Diskurstyp, wo der jeweils „amtierende“ Sprecher den Anderen zum Verschwinden bringt. Das schließt aber nicht aus, daß gleich darauf beide gemeinsam sich vor Gottvater in der gleichen unterwürfigen Position von Sündern wiederfinden, der wiederum als Vater der Mutter in letzter Instanz auf diese verweist. Mir scheint, daß gerade der von Jessica Benjamin als Schema für heterosexuelle Liebesbeziehungen angeführte Sadomasochismus sich zur Veranschaulichung der Interpretation eignet, die wir gerade zum Verhältnis „Herr-Knecht“ angedeutet haben. Denn ein Teil des Genusses besteht ja im Rollenwechsel: der Herr kann sich plötzlich in den Knecht verwandeln und umgekehrt. Paradoxerweise beansprucht der Sadomasochismus ja, im Gegensatz zur Blindwütigkeit im täglichen Leben, wo der „Dialog zwischen Taubstummen“ in der Tat häufig zum Extrem eines „Kampfes auf Leben und Tod“ treibt, hier eine spielerische und selbstironische Dimension zu erschließen.

Was die umfassenderen Kennzeichen unserer Kultur betrifft, die sich schließlich als Folge der im Vorhergehenden skizzierten Operation herausbilden, lassen diese sich so zusammenfassen: Über die jüdische Beschneidung des Penis hinausgehend, richtet das Christentum eine Beschneidung des männlichen Herzens ein, um dort die sinnliche Mutter zu kastrieren und sie dann später als asexuelle Jungfrau nach außen zu verlegen. Nach Rozitchner gibt es keinerlei Material für eine Identifizierung mit dem Vater, die die Wirkungen dieser frühen affektiven Kastration auffangen könnte, bleibt doch der Vater auf den Platz eines Impotenten verbannt, der sich seinerseits seiner Mutter unterwirft. Dem Jungen im Christentum bleibt schließlich nur das Modell des gekreuzigten Sohns. Das männliche Wesen hat so als letzte Zuflucht, und sei sie auch nur illusorisch und heimlich, die archaische und präsymbolische Mutter, die in der Selbstbezichtigung des Sünders zugleich herbeigerufen und unter das Verbot gestellt wird.

Das Auslöschen der weiblichen Sinnlichkeit, auf das wir anspielten, durchzieht wie ein roter Faden die Geschichte des Christentums als enthumanisierendes Prinzip: Es begreift den Mann, dessen Erlösung durch den Tod und die Wiederauferstehung führt, als rationale Maschine, die auf ihrem Weg in ihrer Sinnlichkeit erdrückte Frauen zurückläßt. Wir haben es hier mit dem zu traurigem Ruhm gelangten christlichen Rationalismus zu tun, der seine Krönung im Kapitalismus findet, eine besondere Ausgeburt dieser affektiven Kastration, die in der Liquidierung der sinnlichen Mutter im Gegenzug zur Absetzung des phallischen Vaters besteht.

Im Kern dieser ganzen historischen Operation finden wir die Manie, „die Sache“ zu verbergen, wie Rozitchner es nennt, diese inzestuöse Komplizenschaft mit der Mutter, die kein Vater auflösen kann. Tatsächlich steht hinter diesem Dilemma unserer Kultur das Gesetz der Mutter, das sich politisch als Loyalität zum Patriarchat verkleidet. Aber dieses Gesetz bahnt sich seinen Weg gegen einen hohen Preis. Zwar räumt es Mutter und Sohn eine lebenslange symbiotische Verbindung ein, aber als Stoff für den Genuß dieser Verbindung bleibt wenig mehr als die Heimlichkeit, denn der „Genuß“ spielt sich zwischen einer abstrakten und unbefleckten Mutter und einem in seinem Herzen kastrierten Sohn ab. Dem Genuß fehlt also der Gegenstand zum Genießen. Da das Begehren aus dieser Verbindung verbannt bleibt, löst es sich in der Folge von „der Sache“ und verteilt sich auf „die Sachen“, wobei es sich von seinem ursprünglichen Liebesobjekt entfremdet. Es findet das statt, was im Marxismus unter allgemeiner Verdinglichung verstanden wird. In psychoanalytischer Terminologie bedeutet es das Abziehen der Libido vom Körper des Anderen und die libidinöse Besetzung von „allem Beliebigen“. Historisch gesehen gipfelt das in der freien und allgegenwärtigen Zirkulation des Kapitals. Zusammengefaßt wird aus dem Mütterlichen erstens etwas Abstraktes, zweitens durchläuft es eine Quantifizierung und schließlich verwandelt es sich in Geld.

Bevor wir uns den konkreteren, bis in unsere Zeiten gelangten Spezifika des Familiendreiecks zuwenden, die ihren Ausgangspunkt in diesem „Gesetz unserer Kultur“ haben, und insbesondere den Bedingungen der Sexuation sowohl des Sohns als auch der Tochter, sei ein letzter Versuch gestattet, den im vorangehenden dargestellten Gesichtspunkt noch einmal herauszustellen und ihn von den „klassischen“ Auffassungen zu dieser Frage abzuheben: Unsere abendländische Kultur, deren grundlegende Prägung vom Christentum kommt, fügt sich nicht recht in die Auffassung Freuds zur Figur des Vaters. Es gibt hier keinen vom Sohn besiegten und später auf dem Weg der Identifizierung interiorisierten Vater. Was wir vorfinden, ist ein durch die Mutter abgewerteter und vom Sohn verstoßener Vater, der ihn im weiteren in der Vergessenheit verschwinden läßt. Der vaterlose Sohn sucht Zuflucht in der Geborgenheit des Mütterlichen. Aber dort, neben der ersehnten Mutter, lauert die verschlingende Mutter. Die Lösung, letztere in ihre Schranken zu weisen, ist nicht die Trennung, sondern eine Konstruktion, die die Mutter selbst, Ursache der Bedrängnis, nach Art einer Komplizin einschließt. Der Sohn pflanzt in dieses „Nest“ des Inzestuösen den idealisierten Vater ebendieser Mutter ein. Ausgerechnet diesem mütterlichen „Phantasma“ kommt dann die Aufgabe zu, dem Gesetz des Inzestverbots wieder Geltung zu verschaffen und seine Einhaltung zu überwachen, selbst wenn diese nur „formal“ ist: der unmittelbar drohende Inzest wird abgewendet, indem er auf einen spirituellen Inzest hin verlagert wird. In diesem idealisierten Vater bleibt jedoch die Spur der Mutter für immer eingeschrieben: Es gibt nämlich keine wirkliche „sexuelle Differenz“ mehr, weil sich am Ursprung dieses „Adoptivvaters“ die Mutter befindet. Andererseits bleibt für den Vater, der ihn gezeugt hat, kein eigener Ort mehr. Er schrumpft auf eine kraftlose Figur zusammen, und wird günstigenfalls, so sehr er sich auch als allmächtiger Vater inszeniert, zu einer schlechten Imitation des geistigen Vaters. Seine Funktion gelangt nicht über das Oberflächliche hinaus und beschränkt sich auf das gesellschaftlich Notwendige. Kurzum, im Unterschied zur Mutter taugt dieser väterliche Erzeuger in unserer Kultur gemäß der Analyse von Rozitchner für keine Identifizierung, weder für den Sohn noch für die Tochter.

Um die Diskussion schließlich noch auf ein in der aktuellen psychoanalytischen Praxis relevantes und von Jessica Benjamin aufgegriffenes Thema zu bringen, nämlich die gegenwärtige Krise der Vaterfunktion, scheint es mir nützlich, einen Raum für eine kontroverse Debatte zu öffnen, insbesondere um die sehr breit rezipierte Position von Jessica Benjamin herum. Um etwas vorauszuschicken, was mehr als eine Höflichkeitsformel ist: Kontroverse Debatten sind nur mit Positionen möglich, die Gewicht haben. Und gerade die Lektüre des Buchs „Die Fesseln der Liebe“, auf das ich im folgenden Bezug nehmen werde, war für mich bedeutsam. Ja mehr als das: was die Autorin über die Vater-Tochter-Beziehung herausfindet, hat mich über mein rein psychoanalytisches Interesse hinaus beschäftigt.

Vor diesem Hintergrund nehme ich mir die Freiheit, zu fragen: Wie ist die im Vorangehenden dargestellte Sicht der Dinge mit der Einschätzung Jessica Benjamins zusammenzubringen, die sie in besagtem Buch zur Sexuation von Sohn und Tochter gibt? Nach ihr stellt die unterschiedliche Verfügbarkeit des Vaters hier ja einen diskriminatorischen Faktor dar. Vor allem aber: Wie passen ihre „Rezepte“ für das Erschließen einer menschlicheren Perspektive für die Entwicklung des Subjekts in unserer Kultur in das Panorama hinein, das Rozitchner von den Tiefenstrukturen ebendieser Kultur zeichnet?

Wenn ich es richtig verstanden habe, liegt die entscheidende These von Jessica Benjamin in dem Argument, daß der Vater nicht nur das männliche Geschlecht darstellt, sondern eine weitere Funktion hat. Außer daß er dem Sohn als Muster dient, um seine eigene Geschlechtlichkeit aufzubauen und zu symbolisieren und der Tochter als exemplarisches Objekt, um den heterosexuellen Gegensatz zu konstruieren, ist er nämlich Träger und frühester Erzeuger von Differenzen. Er verschafft seinen Kindern eine Urerfahrung, daß es eine Welt jenseits der mütterlichen Symbiose gibt. Wenn wir Subjektivierung als Weg zu einem eigenen Ort hin verstehen, der durch eine Differenz im Verhältnis zur Welt und insbesondere zum mütterlichen Körper gekennzeichnet ist, und wenn wir Identität als Symbolisierung einer solchen Differenz auffassen, hätte der Vater danach als dem Binären und Symbiotischen der Mutter-Kind-Beziehung nicht zugehöriges Element eine entscheidende Funktion bei dieser Suche nach der Differenz. Hinsichtlich dieser Funktion, die in der frühen Kindheit und folglich weit vor der ödipalen Phase anzusetzen ist, spielt das Geschlecht des Kindes keine Rolle: sowohl der Sohn wie die Tochter bedürfen dieses Vaters, der in ihr Leben eine erste Differenz einführt. Nun ist es aber so, daß in unserer Kultur der Vater nicht nur die Differenz als solche darstellt, die nicht spezifizierte Differenz. Vielmehr symbolisiert seine Figur von Anfang an, gemäß einer kulturellen Rollenverteilung, eine ganze Welt, die der mütterlichen Welt entgegengesetzt ist. Er steht für ein Außen, für einen Modus, selbständig zu werden, für einen offenen und erregenden Raum voller Unternehmungsgeist. Es ist ein dem abgeschlossenen und schützenden mütterlichen Raum, diesem „Treibhaus“, das die Mutter in ihrer Halte- und Zufluchtsfunktion anbietet, vollkommen entgegengesetzter Raum.

Hier – immer nach Jessica Benjamin – beginnt das Problem. Denn wohl wird dem Sohn vom Vater Zutritt zu seiner Welt gestattet, der Tochter aber nicht. Den Sohn erkennt er als gleich an, als männlich, als begehrendes Subjekt, während er vor der Tochter die Tür zuschlägt und sie damit in der Position eines Anhängsels der Mutter läßt sowie eines Objekts zur Verfügung der Männer und für deren Sexualität bzw. Fortpflanzungsbedürfnisse. Ein großer Teil der Untersuchung von Jessica Benjamin kreist um die Frage: Wie kann dieser Stand der Dinge überwunden werden und der Vater dazu gebracht werden, daß er seiner Tochter diese Welt öffnet, wo sie zu einem selbständigen und begehrenden Subjekt werden kann? Hier ist es, wo ich innerhalb des Argumentationsrahmens von Jessica Benjamin, also noch ohne diesen mit der vorher dargestellten Auffassung zu konfrontieren, einen unlösbaren Widerspruch sehe: Wenn die männliche Subjektivität auf Kosten der Frau funktioniert und konkret nach dem Hegelschen „Herr-Knecht“-Modell, wie sie behauptet, würde ein Vater, der seiner Tochter die so ersehnte Anerkennung als Subjekt von eigenem Recht zukommen läßt, einen Anschlag auf die Grundlagen seiner eigenen Seinsweise begehen und allgemeiner, auf die Ökonomie des Männlichen in unserer Kultur. Ich glaube deshalb nicht, daß Jessica Benjamin aus Zufall zu Appellen Zuflucht nimmt, inspiriert durch ein utopisches Projekt von „Intersubjektivität“ in repressions- und herrschaftsfreien Beziehungen, getreu den Visionen der „Frankfurter Schule“.

Man wird bereits ahnen, daß meine Kritik, ausgehend von der vorher dargestellten ganz anderen Einschätzung der Position des Vaters in unserer Kultur, die auf Rozitchner aufbaut, nicht bei diesem Widerspruch stehen bleiben wird. Dennoch ist es angebracht, einen Blick auf die Ergebnisse solcher Appelle an den Großmut der Männer auf der Linie von Jessica Benjamin zu werfen, wo zu einer Veränderung der Rollenverteilung aufgerufen wird. Denn es gab ja tatsächlich darauf zielende „Experimente“, beispielsweise in den Subkulturen der siebziger und achtziger Jahren, die von der 68er-Bewegung inspiriert waren und in Deutschland alle möglichen Gegenmodelle hervorbrachten. In einem von diesen, das zu einem gewissen Ruhm gelangte, verwandelte sich der „erregende Vater“ in einen „Hausmann“, während die „haltende und tröstende Mutter“ sich der Lohnarbeit und dem „Kommen und Gehen“ widmete. Leider diente diese „Konjunktur“ nicht dazu, die Polarität zwischen der erregenden und der haltenden Funktion aufzubrechen, nicht einmal innerhalb dieser Elternpaare, sondern reproduzierte sie eher in parodierender Form. Ich glaube nicht, daß das unter den Bedingungen des Kapitalismus, der das Stimulierende und die Beweglichkeit und sonst nichts belohnt, anders hätte ausgehen können, Vom Kapitalismus eine „offizielle“ Aufwertung der tröstenden und haltenden Funktion, also des Weiblichen, zu verlangen, erscheint mir absurd. Denn die männliche Logik ist dem Kapital selbst immanent und verfügt daher neben dem Vater über tausende von Verankerungen.

Wir kehren damit zum Argument von Rozitchner zurück. Im Gegensatz zu dem, was Jessica Benjamin vertritt, ist das Selbständige und das Offene und vor allem das Emanzipatorische der „Welt des Vaters“ eine Art Trugbild. In Wirklichkeit trennen sich nach seiner Einschätzung die Männer niemals vom mütterlichen Körper, so sehr sie es auch vorgeben und so sehr sie das hinter der Anrufung dieses allmächtigen Vaters des Wortes verbergen. Bestenfalls schaffen sie es, schlechte Kopien ihrer Mutter zu ziehen und diese dann später zu ihren Ehefrauen zu machen. Es dürfte also in Wirklichkeit der Sohn sein, der, wenn der Moment kommt, einen konkreten Vater für die Konstruktion seiner männlichen Identität zu suchen, die größeren Probleme hat. Denn der Tochter bleibt ja zumindest ein Modell für ihre weibliche Identität, nämlich diese allmächtige Mutter, selbst wenn es eine verschlingende Mutter ist, so sehr ihr deren Interiorisierung auch widerstreben mag. Was jedoch sowohl dem Sohn als auch der Tochter fehlt, ist diese Vaterfigur, die diese ursprüngliche Differenz einführt, deren Wichtigkeit Jessica Benjamin so treffend darstellt.

Andererseits setzt uns die Untersuchung von Rozitchner auf die Fährte einer Dimension des Problems, in der möglicherweise der von Jessica Benjamin geforderte Wandel seinen Platz haben könnte. Es ist von der Entwicklung des Kapitalismus die Rede, die mehr als irgendwelche Appelle Transformationseffekte und paradoxe Wirkungen für unsere Kultur entfaltet. Es überkommt mich hier die große Versuchung, auf den „Anti-Ödipus“ von Deleuze und Guattari und ihre Vision des Kapitalismus einzugehen, aber ich widerstehe hier besser. Es genügt, von dort die delirierende Seite dieser entfesselten Maschine, die der Kapitalismus darstellt, herauszugreifen. Jeder zentralisierten Kontrolle entzogen, bringt er ständig Einschnitte, Umstrukturierungen und flüchtige Gravitationszentren hervor, in einem großen Strudel, der das kulturelle Feld mitreißt. Die von Foucault gezeichnete Disziplinierungsanstalt der letzten Jahrhunderte vom Typ „Panopticum“ hat sich inzwischen in ein segmentiertes und zerklüftetes Gebilde mit vielen Rissen, Falten, Winkeln und „exterritorialen“ Zonen verwandelt. Der Prozeß der allgemeinen Verdinglichung treibt darauf hin, seine eigenen historischen Fundamente zu untergraben, und seit längerem schon mischt er Familie und Kirche durcheinander. Er wirft eine heilige Sache nach der anderen auf den Müll und entlarvt seine eigenen Grundpfeiler als Anachronismen, über die er sich hinwegzusetzen hat. Vor allem aber führt er das Subjekt selbst in eine totale Ratlosigkeit und an Punkte, wo es ein übers andere Mal die Vergeblichkeit jeder Suche nach dem Identischen erlebt. Nicht zuletzt brachte er die Psychoanalyse hervor, deren In-Erscheinung-Treten, wie ich es sehe, für eine positive Wende in dieser Entwicklung steht, indem sie das Subjekt an den Punkt führt, das Prekäre seiner Identität anzuerkennen. Über die Psychoanalyse hinaus bringt diese Verunsicherung im Bereich des Subjektiven aber neben grauenhaften Phänomenen auch positive Effekte hervor, in Form eines überschäumenden Mutwillens, mit der Differenz zu spielen: Frauen schlüpfen in die Identität von Männern und umgekehrt, außerdem gibt es Zwittermodelle, Homosexuelle werden Eltern, Großmütter werden Mütter, Clowns nehmen die Identität von Präsidenten an, und kleine Jungen bzw. Mädchen bemächtigen sich der Identität von Partisanen, die in der Lage sind, die Computer des Pentagon lahmzulegen. Auf der Seite des Grauenhaften sehen wir die Millionen von Straßenkindern in der sogenannten „Dritten Welt“, nach Art der „meninos“ in Brasilien, die ohne Vater und Mutter und daher gezwungenermaßen „Erwachsene“ sind. Hier drückt sich mehr als ein Elend aus, nämlich das apokalyptische Extrem der Umwertung aller traditionellen Werte und Differenzen.

Mehr im Mittelpunkt unseres Themas finden wir Millionen von ledigen Müttern und Vätern, die, ihrer Situation wohl bewußt, ihre Kinder alleine aufziehen und dabei die Möglichkeit für sich beanspruchen, den mütterlichen und den väterlichen Pol in ein und derselben Person zu vereinen. Alles in allem gibt es bereits überreichlich Phänomene, die weder gut in das Modell von Jessica Benjamin passen noch in das von Rozitchner, und mir erschiene es verfrüht, alle von vornherein als unheilvoll abzutun.

Für angemessener halte ich es, sich an das Modell einer buntdurchwachsenen und vielgestaltigen Identität zu halten, die sich bildet und in Abhängigkeit von den wechselnden Welten, die sie durchquert, immer wieder umbildet. Dabei spielt sie immer mit dem vorhandenen Material, um eine Differenz einzuführen. Es wäre eine Art nomadischer Identität im besten Sinn des Wortes.

* Colloquium vom 1. 7. 1999

 

Literatur

Benjamin, J. (1993). Die Fesseln der Liebe. Frankfurt a. M.

Hegel, G.W.F.(1976). Phänomenologie des Geistes. In: Werke 3. Frankfurt a. M.

Irigaray, L. (1980). Speculum. Spiegel des anderen Geschlechts. Frankfurt a. M.

Leiser, E.(1993). Über das „Erkenntnis-Ich“ des Forschers. Psychologie & Gesellschaftskritik, 67/68, 25-41

Rozitchner, L. (1997). La Cosa y la cruz: cristianismo y capitalismo. Buenos Aires.